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Es begann mit ein paar Möbeln am Straßenrand

Florian Quandt

Ingrid Pöhland (75) betreibt zwei Second Hand-Läden für den guten Zweck. Die Haspa-Filiale Schenefeld unterstützt aus der Nachbarschaft.

Mit Sonnenbrille auf der Nase kommt die Frau im neongrünen Fleecepulli aus dem Lager. Sie entschuldigt sich. „Die muss ich noch tragen. Es ist alles so hell seit der Schleier weg ist.“ Erst vorgestern wurde sie am Auge operiert. Zwei Tage später steht Ingrid Pöhland schon wieder in ihrem Laden und sortiert Spenden. Endlich mal Reisen. Sich ausgiebig um die Enkel kümmern. Einfach nur den Garten genießen. Solche Wünsche hat die Seniorin nicht. Mit ihren 75 Jahren arbeitet sie mindestens 40 Stunden die Woche für ihren Verein „Glücksgriff e.V. – der soziale Kreislauf“ in Schenefeld (Kreis Pinneberg). Gutes tun – das ist ihre Erfüllung.

Die Chefin (r.) und ihre engagierten Kolleginnen freuen sich über eine schöne Schale, die gespendet wurde. Auch Kleidung wird verkauft.

Es begann mit ein paar Kinderzimmermöbeln am Straßenrand. „Wunderschön. Viel zu schade zum Wegwerfen“, erinnert sich Ingrid. Sie fuhr mit dem Fahrrad vorbei. Einen Tag später wieder. „Der Regen hatte die Möbel aufgeweicht. Eine Schande. Da hatte ich die Idee, einen Second-Hand- Laden für den guten Zweck zu eröffnen.“ Über einen Zeitungsartikel rief Ingrid zu Spenden auf, um zu schauen, ob überhaupt genug Waren zusammenkommen würden. „Einen Tag nach der Veröffentlichung war meine Garage voll.“ Kurz darauf mietete sie den Laden an der Lornsenstraße und legte los. Das war vor 14 Jahren. Vom ersten Tag an sei das Geschäft „ein Shootingstar“ gewesen. Kleidung, Geschirr, Töpfe, Spielzeug, Schuhe, Bettwäsche und Handtücher akkurat sortiert auf 120 Quadratmetern. Es lief so gut, dass vor sieben Jahren ein weiteres Geschäft um die Ecke am Heisterweg dazukam. Die Sachen, die für kleines Geld verkauft werden, sind Spenden. Wobei nicht alles, was vorbeigebracht wird, auch verkauft werden kann. „Leider ist viel schmutzige Kleidung oder auch gebrauchte Unterwäsche dabei.“ Manches muss entsorgt werden, die anderen Klamotten, die nicht ins Sortiment passen oder zu zahlreich gespendet werden, gehen an die Kleiderkammer Wilhelmsburg. Viel Arbeit für die 60 Ehrenamtlichen.

Die meisten von ihnen Seniorinnen, manche über 80 Jahre alt. Sie sortieren die Waren, bereiten sie im Lager auf und verkaufen sie in den Läden. Einige der Helferinnen arbeiten 40 Stunden die Woche. Manche noch mehr. Wie Marina. Vorsichtig lugt sie in die Küche hinein. „Stör ich?“, fragt die Frau, die als rechte Hand der Chefin vorgestellt wird. Sie braucht mal eben neue Batterien für ihr Hörgerät. „Na, wann hast du heute Morgen angefangen?“, fragt Ingrid. Marina lacht. „Das willst du nicht wissen.“ Schon um 3.30 Uhr war sie im Laden. Den Tag zuvor wurden etliche Spenden vorbeigebracht, die sortiert werden mussten. Die Frauen unterhalten sich über die Waren und darüber, dass wieder viel gestohlen wurde. Diebe im „Glücksgriff“? „Fast täglich kommen Sachen weg. Selbst Waren für 50 Cent werden gestohlen.“ Einmal stopfte eine Frau so viele Klamotten unter ihr Baby im Kinderwagen, dass das Kind aus der Karre fiel. „Unfassbar, auf was für Ideen die Leute kommen“, sagt Ingrid und winkt ab. Das sei die Kehrseite des Engagements. Doch die Mitarbeiterinnen hätten die Läden gut im Griff.

Die Frauen sind nicht nur für den Verein ein Glücksgriff, sondern der Verein auch für sie. Viele sind Witwen. „Es macht mich glücklich, dass wir einen Lebensinhalt für die Helferinnen schaffen und eine wertvolle Arbeit leisten.“ Arbeit, die vielen zu Gute kommt. Im vergangenen Jahr nahm der Verein mehr als 100.000 Euro ein. Etwa 40.000 Euro gehen für Miete, Betriebskosten und Steuern drauf. Der Rest des Geldes fließt in soziale Projekte. Wöchentlich werden mehr als 200 Kilogramm Bio-Äpfel an die Schenefelder Schulen und einige Kitas gespendet. Es werden ein Kochkurs und eine Schneiderwerkstatt an der Gemeinschaftsschule angeboten. Zudem wird für die Grundschulen das Programm „Klasse 2000“ finanziert, bei dem es unter anderem um Gewalt- und Suchtprävention und Gesunde Ernährung geht. Der Verein unterstützt auch andere soziale Projekte und hilft in Notsituationen. „Neulich ist die Wohnung einer Familie ausgebrannt. Da haben wir alles an Waren umsonst zur Verfügung gestellt“, sagt Ingrid, die wie alle ihre Mitarbeiterinnen ehrenamtlich arbeitet und sich schon ihr Leben lang engagiert.

Der Laden des Vereins „Glücksgriff“ an der Lornsenstraße in Schenefeld.

Bereits als Zehnjährige half die gebürtige Schenefelderin der betagten Nachbarin bei der Hausarbeit, mit Mitte 20 e gagierte sie sich politisch, wurde später als Abgeordnete fürdie Ratsversammlung in Schenefeld gewählt. Nebenbei engagierte sich die Postbeamtin in der Gewerkschaft. Anfangs ehrenamtlich, später wurde sie Vorsitzenden der Deutschen Postgewerkschaft in Hamburg. Eine aufregende Zeit, aus der sie viele Menschen in Schenefeld kennen. Heute sind es noch mehr. Unerkannt durch den Ort schlendern? Absolut unmöglich. Auch wenn sie nicht jeder mit Namen kennt. In Schenefeld ist Ingrid bekannt – als „Frau Glücksgriff“.

Haspa Schenefeld übernimmt Patenschaft

Gutes verdient Unterstützung. Mit der Aktion „Die Bessermacher“ wollen wir nicht nur engagierte Menschen zeigen. Die Projekte bekommen auch finanzielle Hilfe und langfristige Unterstützung. „Glücksgriff“ wünscht sich neue Möbel. Die Haspa kümmert sich um die Finanzierung mit Fördermitteln aus dem „Haspa LotterieSparen“. Zudem übernimmt die Filiale in Schenefeld die Patenschaft für „Glücksgriff“. Seit Jahren arbeitet die Haspa bereits mit dem Verein zusammen. Aktuell wird ein Projekt geplant, das Schüler fit für die Zukunft machen soll. „Wir begleiten Glücksgriff seit vielen Jahren, zum Beispiel mit Infoveranstaltungen in unserer Filiale. Ingrid Pöhland ist auch in unserem Kundenbeirat aktiv, mit dem wir uns gemeinsam für den Stadtteil engagieren“, so David Enders von der Haspa in Schenefeld.

Von WIEBKE BROMBERG und FLORIAN QUANDT