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Der Gründer des Guten

Hat sich immer für die Schwächsten eingesetzt: Dr. Stephan Reimers (81) mit Mitarbeitern der Bahnhofsmission Hamburg, die er unterstützt. (Foto: Florian Quandt)

„Hinz & Kunzt“, Tafel, Spendenparlament – Stephan Reimers hat viele soziale Institutionen der Stadt erschaffen. Denn er weiß sehr genau, wie es sich in Armut lebt. Die Haspa Hamburg Stiftung hält ihm dabei den Rücken frei.

Der 6.11. ist ein ganz besonderer Tag. „Mein Glückstag“, sagt Dr. Stephan Reimers (81). Und nicht nur seiner. Über Jahre hinweg sind an diesem Tag große soziale Projekte entstanden, die das Leben vieler Menschen in Hamburg verändern sollten. Hinz & Kunzt, Hamburger Tafel, das Spendenparlament – durch seine Ideen, sein Engagement für die Schwächsten und seine Beharrlichkeit hat Stephan Reimers das soziale Klima der Stadt erwärmt. Ein Mann, der weiß, was es bedeutet, in Armut zu leben und der schon so manche Herausforderung meistern musste.

Er lacht gerne. Das hat er schon immer. „Es entspricht meinem Wesen“, sagt Stephan Reimers. Dabei hat er schon in der Kindheit schwere Zeiten erlebt. Durch die Krankheit seines Vaters lebte die Familie in Armut. Seine Mutter arbeitete so viel, wie es mit 4 Kindern und ihrem kranken Mann möglich war. Unter anderem verkaufte sie auf Sportplätzen Süßigkeiten aus einem Bauchladen. Stephan Reimers und sein Vater verbrachten viele Stunden mit Gesprächen. Oft über Politik. Und über den Glauben. Es wäre der große Wunsch seines Vaters gewesen, Theologie zu studieren. Doch es war nicht möglich.

Als Stephan Reimers 16 war, starb sein Vater. Doch die Gespräche hatten ihn tief geprägt. So sehr, dass er in die Junge Union eintrat, später Kreisvorsitzender der CDU in Altona wurde und nach der Schule Theologie studierte. Schon damals war sein Plan: Er würde erst mit 40 Pastor werden. Den überwiegend älteren Gemeindemitgliedern als junger Kerl was vom Leben zu erzählen, „das war mein Albtraum“. Tatsächlich ging sein Plan auf. Fast. Nach anderen beruflichen Stationen und großem politischen Engagement, unter anderem war er Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und des Deutschen Bundestages, wurde er mit 39 Jahren Pastor.

Jahre später, am 1.6.1992, übernahm Reimers die Leitung der Diakonie in Hamburg. Sein neuer Arbeitsweg führte zum Hauptbahnhof, vorbei an etlichen Obdachlosen.

„Ein solch krasser Eindruck für mich, dass ich schon am ersten Tag dachte, das können wir nicht akzeptieren. Da müssen wir etwas tun.“

Den Anfang seines nachhaltigen Engagements sollte eine Obdachlosenzeitung machen. Der Landespastor hatte eine kleine Meldung über eine solche Zeitung in London gelesen. Das musste doch auch für Hamburg machbar sein. Zwar war die Herausforderung, die richtigen Leute für ein Team zu finden, groß, doch schon nach einem Jahr wurde die erste „Hinz & Kunzt“ von 25 Obdachlosen verkauft. Am 6.11. in der Innenstadt.

Dr. Stephan Reimers (81)
mit Mitarbeitern der Bahnhofsmission
Hamburg, die er unterstützt.
Hat sich immer für die Schwächsten eingesetzt: Dr. Stephan Reimers (81) mit Mitarbeitern der Bahnhofsmission Hamburg, die er unterstützt. | Foto: Florian Quandt

„Die erste Stunde war furchtbar.“ Die Obdachlosen drückten sich schüchtern und stumm an den Hauswänden entlang, als wollten sie sich verstecken. Die Passant:innen eilten achtlos vorüber. Erst nachdem sein erst zwölfjähriger Sohn und der Obdachlose Volker lauthals für die neue Zeitung warben, versammelten sich immer mehr Menschen. Eine neue Zeitung? Die wollten sie sehen. Am Ende des Tages waren 6.000 Exemplare verkauft. Ein riesiger Erfolg. Schon nach einem Monat waren es 120.000 Zeitungen. Heute sind es noch um die 50.000 und 500 Verkäufer:innen.

Stephan Reimers denkt häufiger an den Tag des ersten Verkaufs zurück. Es ist eine schöne, doch auch schmerzhafte Erinnerung. Denn der Obdachlose Volker hat es nicht geschafft. Die Nachricht von seinem Tod erschütterte den Landespastor zutiefst. „Ein sehr liebenswerter Mensch. Ich konnte es anfangs gar nicht glauben.“ Volker war drogenabhängig und rückfällig geworden. Er starb an einer Überdosis Heroin.

„Hinz & Kunzt hat eine große Koalition von der Hafenstraße bis zum Falkenstein geschaffen“

Der Tod des Mitarbeiters und das Ringen um einzelne Menschen waren in dieser Zeit das Schwerste für Stephan Reimers. Doch er ist glücklich und dankbar, was die Obdachlosenzeitung bewirkt hat.

„Hinz & Kunzt hat eine große Koalition von der Hafenstraße bis zum Falkenstein geschaffen. Sowohl linke kämpferische Typen, als auch Millionäre in Blankenese haben die Zeitung bejaht.“

Und nicht nur das. Die „Hinz & Kunzt“ war der Startschuss für etliche weitere Projekte, die Dr. Reimers ins Leben rief. Es folgte die Gründung der Hamburger Tafel und der Kirchenkaten. Mehr als 30 kleine Holzhäuser für Bedürftige entstanden auf den Grundstücken von Kirchengemeinden der Stadt. Boxlegende Max Schmeling spendete damals 10.000 Mark pro Kate und noch weiteres Geld für andere Projekte. Dr. Stephan Reimers erinnert sich noch genau an die Treffen mit Schmeling. „Ein bescheidener, zurückhaltender Mensch, der sehr freundlich war.“

Nach den Kirchenkaten wurde das Hamburger Spendenparlament gegründet. Ein Projekt, dass Reimers besonders am Herzen liegt. „Es ist das einzige, dass ich mir selber ausgedacht habe. Die anderen waren alle aus anderen Städten abgeguckt.“ Jeder kann mit einem Jahresbeitrag von mindestens 60 € Spendenparlamentarier werden und über die Verteilung der Mitgliedsbeiträge und weiterer Spenden mitentscheiden. Anfangs gab es 100 Mitglieder. Reimers hoffte auf 500. Heute sind es 2.500 und bereits mehr als 18,5 Millionen Euro, die für 1.700 Projektanträge bewilligt wurden.

Auch der Mitternachtsbus, der 365 Tage im Jahr Bedürftige auf Hamburgs Straßen versorgt, wurde auf Initiative von Dr. Reimers ins Leben gerufen. Und die Rathauspassage, in der Langzeitarbeitslose nicht nur einen Job, sondern wieder zurück ins Leben finden. Viele Projekte und viele Stunden des unermüdlichen Engagements. Seine Frau und seine beiden Kinder standen dabei immer hinter ihm und packten mit an. Stephan Reimers berichtet, wie seine Tochter im Bistro der Passage half, bis hin zum Putzen der Sanitärräume.

„Das war nicht immer schön. Aber sie hat es gemacht.“

Als er sich sicher war, dass alle Projekte, die er angestoßen hatte, auch ohne ihn laufen würden, verließ Dr. Reimers Hamburg. Seine letzte Station vor dem Ruhestand sollte Berlin sein. Die Nachricht traf die „Hinz & Kunzt“-Verkäufer:innen. „Sie drohten scherzhaft damit, die Straßen nach Berlin zu verminen“, sagt Stephan Riemers lachend.

„Vielleicht fällt mir ja noch mal was ganz Neues ein“

Dr. Stephan Reimers mit Roksana Maria von Dobrzyn von der Haspa Hamburg Stiftung in der Bahnhofsmission Hamburg.
Dr. Stephan Reimers mit Roksana Maria von Dobrzyn von der Haspa Hamburg Stiftung in der Bahnhofsmission Hamburg. | Foto: Florian Quandt

Nach 10 Jahren kam er für seinen Ruhestand zurück nach Hamburg und engagierte sich in unterschiedlichen Projekten. Unter anderem als Vorsitzender der Stiftung „Hoffnungsorte Hamburg“, die auch die seit 130 Jahren bestehende Bahnhofsmission in Hamburg betreibt. Das Gebäude am Rande des Hauptbahnhofs ist Anlaufpunkt für Reisende, die Hilfe brauchen, und für Bedürftige. Die Bahnhofsmission berät, behandelt kleinere Verletzungen oder Krankheiten, verteilt Kleidung und vermittelt weiter.

Ein Projekt, dass Stephan Reimers gerne unterstützt. Nicht zuletzt, weil der Obdachlose Volker vor vielen Jahren häufig zu Gast war und ihm davon berichtete. Reimers ist nach wie vor Spendenparlamentarier und Förderer der „Hoffnungsorte Hamburg“. Ein offizielles Amt bekleidet er allerdings nicht mehr. „Alles hat seine Zeit.“ Doch ganz aufhören kommt für den 81-Jährigen auch nicht infrage. „Als Erfinder bleibe ich gedanklich aktiv.“ Er macht eine kurze Pause. „Vielleicht fällt mir ja noch mal was ganz Neues ein“, sagt er und macht das, was er so gerne tut. Er lacht.

„Er schaut hin, wenn andere wegsehen. Was für ein beeindruckendes Lebenswerk“

Bessermacher Eine Aktion von MOPO und HASPA

Gutes verdient Unterstützung. Mit der Aktion „Die Bessermacher“ wollen wir nicht nur engagierte Menschen zeigen. Die Projekte bekommen auch finanzielle Hilfe und langfristige Unterstützung. „Kaum ein anderer hat in Hamburg so viel bewegt wie Dr. Reimers. Er schaut hin, wenn andere wegsehen. Was für ein beeindruckendes Lebenswerk“, sagt Roksana Maria von Dobrzyn von der Haspa Hamburg Stiftung, die die Stiftung „Hoffnungsorte Hamburg“ verwaltet. Die Bahnhofsmission, die von Dr. Reimers unterstützt wird, plant vermehrt Veranstaltungen wie Lesungen und Diskussionsrunden zu machen. Dafür werden Licht- und Tontechnik benötigt. Die Haspa hilft und kümmert sich um die Finanzierung aus den Mitteln des Haspa-Lotteriesparen.

Text: Wiebke Bromberg